- X.com
- X.com
- Messenger
Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Der Fall erregt Aufsehen: Die US-Sängerin Cassie, 37, hat gegen ihren langjährigen Freund Sean Combs – als Rapper, Produzent und Labelboss unter Pseudonymen wie Puff Daddy oder P. Diddy bekannt – bei einem Bundesgericht in New York eine Zivilklage eingereicht. Die Klägerin, mit bürgerlichem Namen Casandra Ventura, wirft Combs unter anderem sexuellen Missbrauch, Vergewaltigung, Einschüchterung und körperliche Gewalt vor. Combs’ Anwalt bestreitet die Vorwürfe.
Die Klage
In der 35 Seiten langen Klageschrift werden zahlreiche schwere Vorwürfe erhoben. Casandra Ventura wirft Sean Combs vor, sie mehr als ein Jahrzehnt lang »gewalttätigem Verhalten und gestörten Forderungen« ausgesetzt zu haben.
So habe der Rapper Ventura zu Sex mit anderen Männern gezwungen, während er sich selbst befriedigt und sie gefilmt habe, heißt es in der Klage. Combs habe sie auch immer wieder geschlagen und getreten und schließlich 2018 vergewaltigt, als sie sich von ihm habe trennen wollen. Während ihrer langjährigen Beziehung habe er sie unter anderem mit Drogen, Misshandlungen und Androhung von Gewalt kontrolliert.
Die Sängerin hatte Combs der Klage zufolge 2005 kennengelernt, als sie 19 Jahre alt war und er 37 Jahre. Combs habe sie bei seinem Label Bad Boy Records unter Vertrag genommen und später in einen »drogenberauschten Lebensstil« und in eine Beziehung mit ihm »gelockt«. »Ihr Chef, einer der mächtigsten Männer der Unterhaltungsindustrie, und ein bösartiger, grausamer und kontrollierender Mann, der fast zwei Jahrzehnte älter ist als sie«, heißt es in der Klageschrift.
Im Rahmen ihrer Klage verlangt Ventura Schmerzensgeld und Schadensersatz in nicht genannter Höhe. Combs’ Anwalt wies die Vorwürfe gegen den Rapper entschieden zurück. Die Anschuldigungen seien »beleidigend und empörend«.
Klage gegen Hip-Hop-Mogul: Ex-Freundin wirft Sean »Diddy« Combs Vergewaltigung vor
Der Beklagte
Der 1969 in Harlem geborene Sean Combs machte sich in New York zunächst hinter den Kulissen des Hip-Hop- und R&B-Geschäfts einen Namen. 1993 gründete er sein eigenes Label, Bad Boy Entertainment, das mit dem Rapper Notorious B.I.G. seinen ersten großen Star aufbaute. Unter dem Namen The Hitmen hatte das Label auch sein eigenes Produzententeam, bei dem ebenfalls Combs mitwirkte. Bad Boy, Hitmen – es blieb nicht bei Gewaltanspielungen im Namen: Im Konkurrenzkampf zwischen Ost- und Westküstenrap war Bad Boy Entertainment der Antagonist zum kalifornischen Death Row Records. Am 9. März 1997 wurde Notorious B.I.G. in Los Angeles erschossen.
Wenige Monate später erschien Combs’ erstes eigenes Album als Rapper, »No Way Out«. Er veröffentlichte es unter dem Pseudonym Puff Daddy – »Puff« sei sein Spitzname in der Kindheit gewesen, weil er vor Ärger außer sich geraten sei, schnaufend und pustend. Der größte Hit aus Puff Daddys Debütalbum wurde der Song »I'll Be Missing You« – eine auf »Every Breath You Take« von der englischen Band The Police basierende Hommage an den verstorbenen Freund und Rap-Kollegen Notorious B.I.G. »I'll Be Missing You« ist bis heute populär, 2022 noch gab es eine Tanzchallenge auf TikTok zu dem Song.
1999 griff Combs einen Plattenfirmenmanager im Streit über ein Musikvideo mit dem Rapper Nas tätlich an und wurde zu einem Anti-Aggressions-Training verurteilt. Im Dezember desselben Jahres war Combs mit seiner damaligen Freundin Jennifer Lopez in einem New Yorker Klub, als dort eine Schießerei ausbrach. Eine Beteiligung daran konnte ihm nicht nachgewiesen werden. 2001 änderte Combs sein Künstlerpseudonym von Puff Daddy zu P. Diddy, 2005 kürzte er es auf Diddy ab. Später gab es Verwirrung um ein angebliches neues Pseudonym namens Love – kurz für Brother Love.
Als Rapper konnte Combs weitere Hits landen, darunter »Come With Me« (1998), »Satisfy You« (1999, mit R. Kelly), »Bad Boy For Life« (2001), »Come To Me« (2006, mit Nicole Scherzinger) oder »Coming Home« (2010 mit Dirty Money und Skylar Grey). Auch als Musikproduzent arbeitete Combs weiter erfolgreich. Zudem gründete er bereits 1998 die eigene Modemarke Sean John, investierte in Wodka und Sportgetränke, einen Kabelfernsehsender und eine Gamingplattform. 2017 war er nach Angaben des Magazins »Forbes« der bestbezahlte Unterhaltungskünstler der Welt. Bei der Vergabe der MTV Video Music Awards im September wurde Combs als Pionier und für seine einflussreiche Karriere mit dem »Global Icon Award« ausgezeichnet.
Die Klägerin
Casandra Ventura kam mit Sean Combs als Labelmacher von Bad Boy in Kontakt. Die 1986 in Connecticut geborene Sängerin arbeitete schon als Teenager als Model. Nach dem Highschool-Abschluss 2004 ging sie nach New York, wo sie den Musikproduzenten Ryan Leslie kennenlernte. Nach deren erstem gemeinsamem Song bot der ehemalige Sony-Music-Boss Tommy Mottola einen Managementvertrag an.
Ryan Leslie schrieb und produzierte den R&B-Song »Me & U«, minimalistisch instrumentiert, kühl und ohne Schnörkel gesungen, aber erotisch aufgeladen. Sean Combs soll »Me & U« in einem Klub gehört haben; er drängte darauf, das Debüt der Sängerin, die sich Cassie nannte, in einer Co-Produktion auch bei Bad Boy Entertainment zu veröffentlichen und steuerte einen Remix bei. »Me & U« kam bis auf Platz drei der US-Singlecharts, zahlreiche Medien wählten den Titel unter ihre Songs des Jahres 2006.
Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von YouTube, der den Artikel ergänzt und von der Redaktion empfohlen wird. Sie können Ihre Zustimmung jederzeit wieder zurücknehmen.
{$dispatch('toggle')}, 250);">
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden.Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.
Zur Datenschutzerklärung
Doch »Me & U« sollte Cassies mit Abstand größter Hit bleiben, und das mit Ryan Leslie produzierte Studioalbum ist bis heute ihr einziges reguläres. Dabei hatte Bad Boy Entertainment große Pläne mit ihr, Starproduzenten wurden gehandelt, gelegentliche Singles erschienen – darunter 2009 »Must Be Love« mit Puff Daddy –, allerdings ohne durchschlagenden Erfolg. Parallel arbeitete Cassie Ventura auch als Schauspielerin, unter anderem war sie 2008 in dem Tanzfilm »Step Up 2: The Streets« in einer größeren Rolle zu sehen.
Seit 2007 war Casandra Ventura mit Sean Combs auch privat liiert. Noch 2018 sagte Diddy in einem Radiointerview, dass er mit Cassie Kinder haben wolle – seine zu diesem Zeitpunkt sechs Nachkommen haben allerdings alle andere Mütter. Ende 2018 begann Ventura eine Beziehung mit dem Fitnesstrainer Alex Fine. Das Paar heiratete am 28. August 2019, im Dezember kam ihre erste Tochter zur Welt. Das zweite gemeinsame Kind wurde im März 2021 geboren.
Als Sean Combs 2022 bei den BET Awards, einem Preis der afroamerikanischen Unterhaltungsbranche, für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde, würdigte er in seiner Dankesrede auch Cassie, »weil du mich in dunklen Zeit auf dem Boden gehalten hast, Liebling«. Doch in der Klageschrift, die nun bei einem New Yorker Gericht eingereicht wurde, heißt es: »Die Wahrheit ist, dass Cassie – Ms Casandra Ventura – von Mr Combs zu Boden gehalten wurde, dass sie länger als ein Jahrzehnt lang seinem gewalttätigen Verhalten und seinen gestörten Forderungen ausgesetzt war.«
Der vermeintliche Rivale
Die »New York Times« zitiert eine verstörende Passage aus der Klageschrift, wonach Sean Combs Anfang 2012 von Verabredungen Cassies mit dem Rapper Kid Cudi erfahren habe. Voller Ärger habe Combs gedroht, das Auto von Kid Cudi in die Luft zu sprengen. Tatsächlich sei zu dieser Zeit Kid Cudis Wagen auf dessen Hof explodiert, heißt es in den Gerichtsunterlagen weiter. Von der Zeitung kontaktiert, ließ Kid Cudi über einen Sprecher ausrichten: »Das ist alles wahr.«
Kid Cudi, unter seinem bürgerlichen Namen Scott Mescudi 1984 in Cleveland im US-Bundesstaat Ohio geboren, hatte seinen ersten und auch größten Hit als Rapper 2008 mit »Day 'n' Nite« – eine Nummer drei in den USA. Er arbeitete in der Folge mehrfach mit Kanye West zusammen. Auch Cudi, der in Toledo Film studiert hatte, hatte mehrere Auftritte als Schauspieler.
Der Verteidiger
Sean Combs weise diese »widerlichen und ungeheuerlichen« Vorwürfe entschieden zurück, teilte sein Anwalt Ben Brafman mit. Casandra Ventura habe damit gedroht, ein Buch über ihre Beziehung zu schreiben und 30 Millionen Dollar von Combs verlangt. Der Rapper habe dies als »offensichtliche Erpressung« abgelehnt, schreibt Brafman.
Benjamin Brafman ist als Anwalt kein Unbekannter. Der 1948 in Brooklyn geborene Sohn von Holocaustüberlebenden verteidigte Combs bereits in dem Fall um die Schießerei in einem Nachtklub 1999. Damals waren dem Rapper illegaler Waffenbesitz und Bestechung vorgeworfen worden. Zahlreiche Zeugen unterstützen die Vorwürfe zwar, aber Combs wurde schließlich in allen Punkten freigesprochen. Der Rap-Mogul nennt seinen Anwalt seither Uncle Benny, heißt es.
Seither hat Ben Brafman in zahlreichen Fällen die Verteidigung prominenter Beschuldigter übernommen, darunter der französische Politiker Dominique Strauss-Kahn, den Pharmaunternehmer (und Wu-Tang-Clan-Unikatkäufer) Martin Shkreli, Michael Jackson im Kindesmissbrauchfall, und, vorübergehend, auch Harvey Weinstein. Dem »Zeit«-Magazin erzählte Brafman in einem ausführlichen Interview Anfang des Jahres, Weinstein habe eine Vertreterin haben wollen: »Ich sagte: Harvey, ich kann vieles für dich tun, aber ich kann keine Frau werden. Und schließlich bekam er diese Anwältin aus Chicago. Am Ende wurde er zu 23 Jahren verurteilt, es wäre ein großartiger Prozess für mich gewesen.« Brafman glaubt, er hätte einen Freispruch für Weinstein erreichen können.
Strauss-Kahn-Anwalt Brafman: Charismatisch, messerscharf, manipulativVon Marc Pitzke
Verfahren in New York: Harvey Weinstein verliert Staranwalt
Umstrittener US-Pharma-Unternehmer: Martin Shkreli zu sieben Jahren Haft verurteilt
Der Anwalt der Anklage
Cassie Venturas Anwalt Douglas Wigdor erklärte zu dem von Brafman geäußerten Erpressungsvorwurf: Combs habe Ventura zuvor Geld angeboten, um eine Anzeige zu verhindern. Sie habe aber »seine Bemühungen zurückgewiesen und beschlossen, allen Frauen, die im Stillen leiden, eine Stimme zu geben«. Man sollte Ventura »für ihre Tapferkeit applaudieren«, sagte Wigdor. »Kein Mensch sollte ertragen müssen, was Frau Ventura ertragen hat«.
Auch Douglas H. Wigdor hat sich in Missbrauchsprozessen einen Namen gemacht. Im Fall Harvey Weinstein zählte er zu den Opferanwälten. Zuletzt verklagte er im Namen der Schauspielerin Julia Ormond den Produzenten, der sie 1995 zu Oralsex gezwungen habe, aber auch die mit Weinstein verbundenen Produktionsfirmen. Im Fall um Dominique Strauss-Kahn vertrat Wigdor das Zimmermädchen Nafissatou Diallo. Die Guineerin warf dem Politiker versuchte Vergewaltigung in einer New Yorker Hotelsuite vor. Das Verfahren endete mit einer Einigung von Strauss-Kahns Anwälten mit der Zivilklägerin. Über die Details wurde Stillschweigen bewahrt.
Mit Material von AFP, AP, dpa und Reuters